Bramscher Nachrichten 17. Juni 2010

Etwas Besonderes


Dass Berichterstattungen in einem begrenzten Zeilenumfang nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben, ist normal. Dann gibt es aber Ereignisse, die deshalb nur als Fragment übermittelt werden können, weil sie hauptsächlich Erlebnis sind. Bei der Aufführung der „Zauberflöte“ durch die Johannes-Schule Evinghausen am Mittwoch ist dies der Fall.
Sicher lässt sich schildern, dass ein ursprünglich auf drei Tage festgesetztes Theaterprojekt kurz entschlossen um weitere fünf Tage verlängert wurde, innerhalb dieser Woche 18 Oberstufenschülerinnen und -schüler sowie ein Sechstklässler und zwei Gastkinder die auf eine Stunde verkürzte und überwiegend als Theaterstück konzipierte Oper einstudierten sowie die Kulissen dazu herstellten. Auch ein Umzug auf die große Bühne der Waldorfschule, die Zusammenarbeit mit drei Musikern, die selbst regelmäßig öffentlich auftreten, die Unterstützung durch Waldorfschüler bei der Beleuchtung und die beiden Aufführungen am Mittwochvormittag und Mittwochabend sind schnell angeführt.
Der Funke jedoch, der bei der Aufführung am Vormittag auf das Publikum übersprang, der ist nur kläglich mit Buchstaben zu transportieren. Wenn sich eine Schule Raum geben kann, sich auf die Stärken der Schüler zu konzentrieren, anstatt den Versuch unternehmen zu müssen, am Unterstützungsbedarf zu arbeiten, dann kann etwas Besonderes entstehen.
Grundstock für die „Zauberflöte“ war eine Zusammenarbeit zwischen Menschen ganz unterschiedlicher Altersstufen und Fähigkeiten. Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit einem denkbar breiten Spektrum der Möglichkeiten fanden sich zusammen, um einfach gemeinsam etwas zu tun. Jenseits aller Vorurteile und der Konventionen des normierten Kunstanspruchs.
Soloarien, zweistimmiger Chor der sechsten und siebten Klasse sowie Schauspiel über eine Stunde hinweg, so äußerte sich das sicht- und hörbare Erscheinungsbild der „Zauberflöte“. Bestimmt klingt Oper etwas anders, gewiss erreichen die Stimmen von der Bühne im Schauspielhaus aus souverän auch die letzten Reihen im Saal.
Das Faszinosum an der Aufführung der Johannes-Schule war jedoch, dass solche Unvollkommenheiten zur Marginalie gerieten, unbedeutend wurden im Kontext des Gesamteindrucks. Was interessierte es da schon, dass die Soloarie nur mit Unterstützung eines Erwachsenen möglich wurde, wenn der Sänger dies mit der Ausstrahlung eines Helden der Selbstüberwindung vollbrachte, der es geschafft hat, sich etwas schier Unmögliches zuzutrauen. Solche Großartigkeiten fanden sich vielfach.
Nochmals übertroffen wurden sie allerdings von der Darstellerin des Papageno. Daniela Kruse, Schülerin der zehnten Klasse, zählt im Schulalltag nicht zu den spezifisch Auffälligen. Das verändert sich vollkommen, wenn sie die Bühne betritt. Da ist dann nicht schauspielerisches Handwerk, nicht angelernte Schauspielkunst zu sehen, obgleich sie professionell spielt. Was dieses Mädchen an nonverbaler Ausdrucksfähigkeit zur Verfügung hat, kommt ganz von innen. Daniela Kruse stellt keine Rolle dar, sondern ist sie. Mit einer Gestik und Mimik, die frei von Berechnung und Taktik punktgenau in dem Moment das ist, was der zu spielenden Figur Leben verleiht. Ob mit Text im Vordergrund oder stumm, aber gestisch beredt das Geschehen begleitend, Daniela Kruses Papageno trug das Stück mit den Möglichkeiten ihrer unverbrauchten Begabung. Intelligenz kann viele Facetten haben. Bei ihr hat sie sich in der Bühnenpräsenz eine erstaunliche Artikulationsform geschaffen. Nicht umsonst tritt Daniela Kruse neben der Schule im Emma-Theater auf.
Wie bereits angedeutet, die Ausstrahlung dieser Aufführung lässt sich nur schwer beschreiben, aber dafür umso mehr beklatschen. Und diesen Applaus gab es in gleicher Lautstärke für Haupt- und jede weitere Rolle.

 

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